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Jüdische Familien in Neuenhaus 1930 -1942


von Norbert Voshaar

Zu Beginn der 1930er Jahre leben in Neuenhaus sieben jüdische Familien:

Familie van Coevorden, Johann (Händler, zuletzt Wallstr. 1, = heute Wallstr. 2)

Familie van Coevorden, Julius (Händler, zuletzt Hauptstr. bzw. „Straße der SA“ 116 = heute Hauptstr. 113)

Familie Frank (Viehhändler, zuletzt Hauptstr. bzw. „Straße der SA“ 55, = heute Hauptstr. 58)

 

Familie Salomons (Schlachter, zuletzt Hauptstr. bzw. „Straße der SA“ 127, = heute Hauptstr. 123)

Familie Steinburg (Textilgeschäft, zuletzt Hauptstr. bzw. „Straße der SA“ 59, = heute Hauptstr. 62)

Familie Süskind (Abfallverwertung/Schrotthandel, zuletzt Bahnhofstr. 30,
= heute Veldhausener Str. 43)

Familie van der Reis (Schlachter / Kurzwaren- und Mützengeschäft, zuletzt Hauptstr. bzw. „Straße der SA“ 65 und 66, = heute Hauptstr. 63 u. 68/70)

Skizze v. Gerrit Borggreve aus dem Jahr 1992

Wo sind sie geblieben?

Ende 1934 verziehen nach Nordhorn:
Johann van Coevorden (geb. am 30. Oktober 1877 in Emlichheim, im Januar 1933 noch  Mitglied des SV Borussia 08 Neuenhaus) und seine Ehefrau
Caroline van Coevorden geb. Serphos (geb. am 5. Juni 1888 in Neuenhaus) mit ihren Töchtern
Wilhelmine Johanna van Coevorden („Mieze“, geb. am 20. Juni 1915 in Neuenhaus),
Johanna Dina van Coevorden („Dini“, geb. am 21. August 1916 in Neuenhaus) sowie
Johanna Hendrica van Coevorden („Hanni“, geb. am 2. Dezember 1921 in Neuenhaus).
In Neuenhaus hat die Familie laut Adressbüchern von 1927 und 1930 gewohnt in der Wallstraße Nr. 1 (= heute Wallstraße Nr. 2). Aus Hannis Abschlusszeugnis geht hervor, dass sie im Januar 1935 in die Nordhorner Volksschule eintrat und im September 1935 aus der Schule entlassen wurde; unter Bemerkungen steht: „Ausgewandert als Jude“. Im Oktober 1935 zieht die Familie von Nordhorn (Adresse dort lt. Hannis Zeugnis: Pestalozzistr. 35) nach Enschede/NL (Veenstraat 430).
Johann van Coevorden stirbt am 30.06.1941 in Enschede an Krebs, seine Ehefrau Caroline wird nach einem Aufenthalt im Lager Vught über das „Judendurchgangslager“ Westerbork am 25. Mai 1943 nach Sobibor (KZ) gebracht, wo sie am 28. Mai 1943 ermordet wird. Die drei Töchter überleben, wobei ihnen geholfen haben dürfte, dass sie in Holland jeweils nichtjüdische Ehepartner fanden.
[Für die fünf o. G. wurden 2017 in Neuenhaus Stolpersteine verlegt]

Ende November 1938 fährt
Julius Frank
(geb. am 26. August 1884 in Neuenhaus, 1907 Mitbegründer des TV Neuenhaus) mit Erlaubnis der Gestapo per Fahrrad nach Enschede/NL, wo er eigentlich nur zwei Tage bleiben will, um für seinen Sohn Günter einen Schulplatz zu finden, da dieser in Deutschland nicht mehr zur Schule gehen darf. Aufgrund einer Erkrankung wird Julius Frank nach Amsterdam verbracht, von wo ihm die angestrebte Rückkehr nach Deutschland unmöglich ist, weil die deutschen Behörden sie ihm verweigern. Am 10. August 1942 wird er nach einem vorübergehenden Aufenthalt in Westerbork nach Auschwitz (KZ) deportiert, wo er am 30. September 1942 ermordet wird.
[Für den o. G. wurde 2011 in Neuenhaus ein Stolperstein verlegt]

 Ende 1938 flieht in die Niederlande
Sigmund Süskind
(geb. am 6. Januar 1893 in Neuenhaus, nach der Pogromnacht 1938 zeitweise im KZ Sachsenhausen inhaftierter Ehemann von Julchen Süskind).
Nach Auskunft des Herinneringscentrums Kamp Westerbork hat sich Sigmund Süskind nach seiner Rückkehr aus dem KZ Sachsenhausen ab dem 25. Dezember 1938 in Rotterdam aufgehalten, ab dem 13. Januar 1939 in Amsterdam. Von dort kam er am 27. Februar 1940 ins Kamp Westerbork, von wo aus er am 25. Januar 1944 nach Auschwitz deportiert wurde, wo er ermordet wurde.
[Für den o. G. wurde 2011 in Neuenhaus ein Stolperstein verlegt]

Im Januar 1939 verziehen bzw. fliehen nach Haaksbergen/NL
Aron Salomons
(geb. am 9. Februar 1869 in Neuenhaus) und seine Ehefrau
Emma Salomons geb. V(F)rankenhuis (geb. am 30. August 1876 in Oldenzaal/NL).
Aron Salomons stirbt am 6. Juli 1943 im jüdischen Krankenhaus Amsterdam, Emma Salomons wird im selben Jahr über Westerbork nach Auschwitz (KZ) deportiert und wird dort am 27. August 1943 ermordet.
[Für die beiden o. G. wurden 2011 in Neuenhaus Stolpersteine verlegt]

Im Januar 1939 verziehen bzw. fliehen nach Almelo/NL
Julius (Joel) van Coevorden
(geb. am 16. Februar 1873 in Emlichheim, Bruder des genannte Johann van Coevorden) und Ehefrau
Johanne van Coevorden geb. Salomons (geb. am 26. Februar 1875 in Almelo/NL) sowie Tochter
Johanne van Coevorden jun. (geb. am 29. November 1907 in Emlichheim).
Julius van Coevorden und seine Ehefrau Johanne werden am 11. Mai 1943 von Westerbork nach Sobibor (KZ) deportiert, wo sie am 14. Mai 1943 ermordet werden. Tochter Johanne kommt 1944 in das KZ Neuengamme, wo sie im darauffolgenden Jahr umkommt.
[Für die drei o. G. wurden 2011 in Neuenhaus Stolpersteine verlegt]

Im Juni 1939 meldet sich ab nach Assen/NL
Samuel (Samson) Süskind
(geb. am 30. Juli 1851 in Denekamp/NL)
Es liegen Informationen vor, wonach Samuel Süskind Ende 1939/Anfang 1940 zu seinen jüngeren unverheirateten Geschwistern Hartog und Sara Süskind nach Denekamp ziehen wollte, von den dortigen Behörden aber keine entsprechende Genehmigung erhielt. Er ist nach Neuenhaus zurückgekehrt und schließlich am 29. Juli 1942 von dort aus nach Theresienstadt deportiert worden (s. u.).
[Für den o. G. wurde 2011 in Neuenhaus ein Stolperstein verlegt]

Im Dezember 1941 werden folgende Neuenhauser jüdischen Glaubens mit dem sogenannten Bielefelder Transport ins Ghetto Riga im besetzten Lettland deportiert:
Selma Frank geb. Hurwitz (geb. am 21. August 1896 in Levern, Ehefrau des o. g. Julius Frank) und ihr Sohn
Günter Frank (geb. am 27. Oktober 1927 in Osnabrück);
Julchen Süskind geb. Jacobs (geb. am 26. August 1894 in Werlte, Ehefrau des o. g. Sigmund Süskind).
Selma Frank kommt höchstwahrscheinlich im Rigaer Ghetto um. Julchen Süskind und Günter Frank werden am 9. August 1944 von Riga nach Stutthof (KZ) verbracht. Julchen Süskind kommt am 10. Januar 1945 in Stutthof um, Günter Frank wird am 10. September 1944 von Stutthof nach Auschwitz (KZ) verbracht und dort ermordet.
[Für die drei o. G. wurden 2011 in Neuenhaus Stolpersteine verlegt]

Am 29.Juli 1942 werden die letzten noch in Neuenhaus verbliebenen Juden nach Theresienstadt deportiert, es sind dieses nach heutigem Wissen:

Samuel (Samson) Süskind (geb. am 30. Juli 1851 in Denekamp/NL);

Alexander Steinburg (geb. am 20. September 1865 in Haselünne) und seine Ehefrau
Lina Steinburg geb. Landau (geb. am 25. Mai 1863 in Ramsdorf);

Adolf van der Reis (geb. am 2. Oktober 1860 in Neuenhaus) und seine Geschwister
Bertha van der Reis (geb. am 31. Mai 1863 in Neuenhaus),
Georg van der Reis (geb. am 1. Mai 1866 in Neuenhaus) und
Adele van der Reis (geb. am 12. Februar 1869 in Neuenhaus);

Hermann Vos (geb. am 8. August 1872 in Uelsen) und seine Ehefrau
Johanne Vos geb. Driels (geb. am 7. April 1875 in Groß-Karben).
Die beiden Letztgenannten hatten im Januar 1942 zwangsweise von Uelsen nach Neuenhaus in das sogenannte „Judenhaus“ (Haus van der Reis, Hauptstraße bzw. „Straße der SA“ 65) umziehen müssen.

Samuel Süskind stirbt am 4. August 1942 in Theresienstadt, ihm folgen die Schwestern Bertha und Adele van der Reis am 18. November bzw. am 7. Dezember 1942.

Das Ehepaar Steinburg, das Ehepaar Vos sowie Adolf und Georg van der Reis werden am 23. September 1942 ins Vernichtungslager Treblinka weiterdeportiert, wo sie ermordet werden. Bei den Brüdern Adolf und Georg van der Reis weiß man das Todesdatum, sie sterben in Treblinka am 5. Oktober 1942.
[Für die ersten sieben der o. G. wurden 2011 in Neuenhaus Stolpersteine verlegt, für die beiden Letztgenannten in Uelsen]

 

Siegfried Süskind (1929-1985) hat die Nazizeit überlebt.

Siegfried Süskind ist am 1. März 1929 in Nordhorn geboren. Er soll während des Abtransportes aus Denekamp vom fahrenden Wagen gesprungen und anschließend von holländischen Bauern bis zum Ende des Krieges versteckt worden sein.
Siegfrieds Vater war Julius Süskind (geb. am 12. April 1888 in Neuenhaus), der ältere Bruder von Siegfrieds Onkel Sigmund Süskind; seine Mutter war Emilie (Ennegje) Süskind geb. Jacobs (geb. am 28. September 1889 in Werlte), die ältere Schwester von Siegfrieds Tante Julchen Süskind.
(Julius Süskind betrieb in Nordhorn in der Alkenstiege Nummer 7 eine Zweigstelle der Neuenhauser Schrotthandlung, die er gemeinsam mit seinem Bruder Sigmund führte.)
Laut Neuenhauser Meldekartei zieht Siegfried im Februar 1936 von Nordhorn nach Neuenhaus zu Großvater Samuel, Onkel Sigmund und Tante Julchen, bleibt jedoch auch in Nordhorn gemeldet, wo seine Eltern und seine Schwester Rosette Julie (geb. am 2. Dezember 1930 in Neuenhaus) wohnen. Kurz nach der Pogromnacht, am 20.11.1938 wird Siegfried nach Denekamp/NL abgemeldet, wo er bis zur Abholung durch die deutschen Besatzer bei einem Cousin seines Vaters wohnt. Einige Jahre nach dem Krieg, den er, wie oben berichtet,  im Versteck überlebt, zieht Siegfried Süskind wieder nach Nordhorn und betreibt dort einen Schrott-, Altpapier- und Rohproduktehandel, so wie zuvor schon Großvater, Vater und Onkel.

Laut der von der Stadt Nordhorn herausgegebenen Broschüre „Beim Namen genannt…- Stolpersteine in Nordhorn“ hat Siegfried Süskind später „lange in Frankfurt gelebt – erschüttert an Leib und Seele fand er nie wieder in ein `normales´ Leben zurück“. Recherchen bei der Stadt Frankfurt/Main ergaben, dass Siegfried Süskind von 1970 bis zu seinem Tod am 18. Juni 1985 in Frankfurt gemeldet war, er hat sich dort jedoch auch in den 1960er Jahren bereits häufig aufgehalten.

Gemäß Melderegister zieht Siegfrieds Mutter Emilie am 27. Januar 1942 ebenfalls nach Neuenhaus ins „Judenhaus“ an der Hauptstraße bzw. „Straße der SA“. Im Bundesarchiv wird sie mit dem Hinweis geführt, am 22. März 1942 von Koblenz aus ins Ghetto Izbica  deportiert worden und dort im gleichen Jahr gestorben zu sein. Dieses gilt auch für Siegfrieds Vater Julius, bei dem hinzugefügt ist, dass er vor seiner Deportation ab Koblenz zuletzt wohnhaft war in der Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn (im Neuenhauser Melderegister heißt es diesbezüglich „zuletzt vermutlich Irrenanstalt bei Köln“).

Siegfrieds Schwester Rosette Julie ist lt. Bundesarchiv 1938 nach Holland verzogen (d. h. im November 1938 gemeinsam mit Bruder Siegfried nach Denekamp gebracht worden), von dort aus wurde sie 1942 zunächst nach Westerbork verbracht, von wo sie Anfang 1944 nach Auschwitz deportiert wurde. Mit Datum 28. Januar 1944 wurde sie für tot erklärt. Es heißt, Siegfried habe bei seiner Flucht versucht, seine Schwester Rosette Julie mit vom fahrenden Wagen zu ziehen, dieses sei ihm jedoch misslungen bzw. seine Schwester habe sich nicht überwinden können, sich ihm anzuschließen.

[Für Siegfried Süskind wurde 2017 in Neuenhaus ein Stolperstein verlegt. Für seinen Vater Julius, seine Mutter Emilie und seine Schwester Rosette Julie liegen Stolpersteine in Nordhorn.]

Kontakt:
Norbert Voshaar, Tel. 05941 925 921
voshaar@gmx.de

 
 
Johann van Coevorden 1877-1941 (Foto Jongman)
Caroline van Coevorden geb. Serphos 1888-1943 (Foto C. Jongman)
Julius Frank mit Sohn Günter 1927/28 (Foto Valentin Frank)
Selma u. Günter Frank 1939/40 (Foto Valentin Frank)

ÜBERSICHT der oben genannten und unten folgenden Personen

Johann v. Coevorden             10.10.1877 Emlichheim        –          30.06.1941 Enschede
Caroline v. C. geb. Serphos   05.06.1888 Neuenhaus          –          28.05.1943 Sobibor
Wilhelmine Johanna v. C.      20.06.1915 Neuenhaus  „Mieze“ –    20.02.1986 Enschede
Johanna Dina v. Coevorden   21.08.1916 Neuenhaus  „Dini“  –       20.12.1991 Enschede
Johanna Hendrica v. Coev.    02.12.1921 Neuenhaus  „Hanni“ –     03.03.1996 Enschede

Julius (Joel) v. Coevorden     16.02.1873 Emlichheim        –          14.05.1943 Sibobor
Johanne v. C. geb. Salomons 26.02.1875 Almelo                –          14.05.1943 Sibobor
Johanne v. Coevorden jun.    29.11.1907 Emlichheim        –          1945 Neuengamme

Julius Frank                           26.08.1884 Neuenhaus          –          30.09.1942 Auschwitz
Selma Frank geb. Hurwitz     21.08.1896 Levern                             ? 1942 Ghetto Riga
Günter Frank                          27.10.1927 Osnabrück                       ? 1944 Auschwitz

Adolf van der Reis                 02.10.1860 Neuenhaus                      05.10.1942 Treblinka
Bertha van der Reis               31.05.1863 Neuenhaus                      18.11.1942 Theresienstadt
Georg van der Reis                01.05.1866 Neuenhaus                      05.10.1942 Treblinka
Adele van der Reis                 12.02.1869 Neuenhaus                      07.12.1942 Theresienstadt

Aron Salomons                      09.02.1869 Neuenhaus          –          06.07.1943 Amsterdam
Emma S. g. V(F)rankenhuis 30.08.1876 Oldenzaal                        27.08.1943 Auschwitz

Alexander Steinburg              20.09.1865 Haselünne                       Ende 1942 Treblinka
Lina Steinburg geb. Landau  25.05.1863 Ramsdorf                        Ende 1942 Treblinka

Sigmund Süskind                 06.01.1893 Neuenhaus          –          1944 Auschwitz
Julchen Süskind geb. Jacobs 26.08.1894 Werlte                             10.01.1945 Stutthof

Samuel (Samson) Süskind     30.07.1851 Denekamp           –          04.08.1942 Theresienstadt

Hermann Vos                         08.08.1872 Uelsen                             Ende 1942 Treblinka
Johanna Vos geb. Driels        07.04.1875 Groß-Karben                   Ende 1942 Treblinka

Julius Süskind                        12.04.1888 Neuenhaus                      1942 Ghetto Izbica
Emilie (Ennegje) S. g.Jacobs 28.09.1889 Werlte                             1942 Ghetto Izbica
Siegfried Süskind                  01.03.1929 Nordhorn             –          18.06.1985 Frankfurt
Rosette Julie Süskind             02.12.1930 Neuenhaus                      28.01.1944 Auschwitz

Die jüdische Familie Süskind (Benth. Jb 2018)

Einzige Aufnahme der Synagoge in Neuenhaus, der Giebel mittig mit den beiden Fenstern

Die Männer auf dem 2. Bild sind von links nach rechts: Hillen, Kemper, Jan Sloot, Hermann Hillen, Georg Sloot, Gustav Berendsen (verdeckt), Gosselink, Jan van Dorsten, Hillen, Georg Temme (s. „Auf Spuren jüd. Lebens in der Grafschaft Bentheim“, 2003, S.292).

Anders als dort angegeben (dort steht 1935), soll die Aufnahme von Ostern 1938 stammen.

 

Siehe auch die sehr informative Seite der Stadt Neuenhaus
über den hiesigen Friedhof unter diesem LINK.


Dort kann man auch eine Broschüre herunterladen
mit den Texten aller Grabsteine dieses Friedhofs.